„Nicht nur Heilsteine“ – Neurofeedback bei ADHS
Fokus finden, Ruhe lernen: Wie Neurofeedback bei ADHS hilft
Wer selbst ADHS hat – oder ein Kind mit ADHS – weiß, wie kräftezehrend der Alltag sein kann: Die Konzentration schwindet, die Gedanken springen unkontrolliert umher, und oft macht der Körper gleich mit. Reize prasseln ungefiltert auf einen ein, kleine Aufgaben werden zu großen Hürden.
Viele Eltern – und auch betroffene Erwachsene – suchen nach Wegen, um diese Belastung zu verringern. Dabei stoßen sie früher oder später auf den Begriff Neurofeedback. Klingt spannend – aber auch ein bisschen nach Hightech-Zauberei.
Was ist das eigentlich? Wirkt es wirklich – oder ist es nur ein neuer Hype zwischen Meditation, Apps und Heilsteinen? Die Antwort ist klarer, als viele denken.
Inhaltsverzeichnis
Was ist Neurofeedback – und wie funktioniert es?
Neurofeedback ist ein Verfahren, mit dem Menschen lernen können, ihre eigene Gehirnaktivität bewusst zu beeinflussen. Das klingt technisch – ist aber im Prinzip ein einfaches, visuelles Training für das Gehirn.
- Kleine Sensoren werden auf die Kopfhaut geklebt – ähnlich wie bei einem EEG. Sie messen die elektrische Aktivität des Gehirns.
- Diese Aktivität wird in Echtzeit sichtbar oder hörbar gemacht – z. B. über ein Videospiel, einen Ton oder einen Film.
- Wenn das Gehirn in einem gewünschten Zustand ist – zum Beispiel konzentriert oder ruhig – läuft das Spiel besser, der Ton wird angenehmer oder der Film bleibt flüssig.
Das Gehirn bekommt auf diese Weise ein direktes, positives Feedback – und lernt, sich häufiger in genau diesen hilfreichen Zustand zu bringen. Ganz ohne Worte.
Man kann es sich vorstellen wie ein Spiegel fürs Gehirn – oder wie ein Muskeltraining für Aufmerksamkeit, Ruhe und Selbstkontrolle.
Wichtig zu wissen:
- Es wird kein Strom ins Gehirn geleitet.
- Es gibt keine Stimulation, keine Impulse, kein Eingreifen.
- Das Gehirn lernt von sich selbst – durch Rückmeldung.
Wie kann das bei ADHS helfen?
Menschen mit ADHS fällt es oft schwer, Fokus zu halten, Reize zu filtern und nicht sofort zu reagieren. Die Aktivität ihres Gehirns weicht in bestimmten Situationen von der typischen „Balance“ ab – etwa beim Verhältnis von langsamen (Theta) und schnellen (Beta) Hirnwellen. Diese Unterschiede lassen sich messen – und genau hier kann Neurofeedback ansetzen.
Ziel ist es, dem Gehirn zu helfen, stabiler und zielgerichteter zu arbeiten. In vielen Fällen berichten Patient*innen oder Angehörige nach dem Training:
- Mehr Ruhe im Kopf – weniger Gedankenkarussell
- Längere Aufmerksamkeitsspannen – z. B. bei Hausaufgaben oder Besprechungen
- Weniger impulsive Reaktionen – mehr Zeit zwischen Reiz und Reaktion
- Weniger körperliche Unruhe – das „Zappeln“ lässt nach
- Mehr Gelassenheit in stressigen Situationen
Das Spannende: Viele Betroffene bemerken die Veränderungen zunächst gar nicht selbst – sondern ihr Umfeld.
„Sie unterbricht kaum noch.“
„Er kann plötzlich 30 Minuten still sitzen.“
„Das Abendessen läuft ruhiger ab.“
Was sagt die Forschung?
Neurofeedback ist wissenschaftlich fundiert. In den letzten Jahren wurde es besonders im Zusammenhang mit ADHS intensiv untersucht – nicht nur durch Einzelstudien, sondern auch durch große Übersichtsarbeiten.
Hier einige besonders aussagekräftige Beispiele:
Cortese et al. (2016) analysierten 13 Studien mit über 500 Teilnehmenden (Psychological Medicine). Sie fanden: Neurofeedback verbessert ADHS-Kernsymptome deutlich – vor allem in der Einschätzung von Eltern und Lehrkräften.
Van Doren et al. (2019) kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Ihre Auswertung von 18 Studien (European Child & Adolescent Psychiatry) zeigt: Neurofeedback hilft besonders gut gegen Unaufmerksamkeit und Impulsivität – beides typische ADHS-Merkmale.
Fachgesellschaften wie die ISNR (International Society for Neuroregulation & Research) und die GAMMA (Gesellschaft für angewandte Medizinische Magnetresonanz) empfehlen Neurofeedback bei ADHS – basierend auf der wachsenden Zahl positiver Studienergebnisse und der guten Verträglichkeit.
Kurz gesagt: Neurofeedback ist keine Esoterik. Es ist eine wissenschaftlich untersuchte Methode, die – fachgerecht durchgeführt – nachweislich bei ADHS helfen kann.

Mythen & Missverständnisse – was wirklich stimmt
Viele Menschen haben falsche Vorstellungen von Neurofeedback – darum hier die häufigsten Irrtümer im Faktencheck:
- „Das sind doch Stromstöße!“
Nein. Es wird nichts ins Gehirn geleitet. Die Sensoren messen nur – sie senden nichts. - „Das wirkt doch nicht – wie Heilsteine.“
Doch. Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien, die eine wirksame Verbesserung der ADHS-Symptome belegen. - „Das ist bestimmt mega anstrengend.“
Nicht unbedingt. Die Sitzungen sind ruhig, viele Kinder empfinden sie wie ein Spiel. Erwachsene genießen oft die entspannte Konzentration danach. - „Ich war danach total müde – das ist doch schlecht?“
Ganz im Gegenteil. Die Müdigkeit zeigt: Ihr Gehirn hat intensiv gearbeitet. Nach kurzer Erholung stellt sich oft mehr Klarheit ein.
Fazit: Neurofeedback ist keine Zauberei – aber eine echte Hilfe
Neurofeedback verändert nicht über Nacht alles. Aber es kann auf sanfte, tiefgreifende Weise dabei helfen, das Gehirn besser zu regulieren – ruhiger, aufmerksamer, selbstbestimmter.
Für viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit ADHS ist es ein wertvoller Baustein, um den Alltag zu erleichtern – und das Leben ein Stück gelassener zu machen.